Weil jede Impfung lebensrettend sein kann. - 10 Fragen an Dr. Salem El-Hamid

23. August 2021 

Dr. Salem El-Hamid ist Kinderarzt, zur Zeit als Chefarzt der Kinderklinik des DRK-Krankenhauses in Kirchen/Sieg und befasst sich intensiv mit Impffragen. Als Kinderarzt führt er selbstverständlich seit vielen Jahren regelmäßige Impfungen bei Kindern und Jugendlichen durch. Impfungen gehören zu den wesentlichen Aufgaben des Kinderarztes.

 

1. Wann haben Sie sich zuletzt impfen lassen? Wogegen war das?

Persönlich lasse ich mich bei dem hiesigen Betriebsarzt jährlich, auch in diesem Jahr, gegen Grippe impfen. Außerdem habe ich zwei Dosen Covid-19 Impfungen (Moderna) im März und Mai diesen Jahres erhalten.

 

2. Sie sind seit vielen Jahren als Kinderarzt im Krankenhaus tätig. Haben Sie in Ihrer Laufbahn öfters Kinder behandelt, die aufgrund von Infektionskrankheiten zu Ihnen kamen, welche durch eine Impfung hätten verhindert werden können?

Im Krankenhaus befassen wir uns immer wieder mit Infektionen und Krankheiten bei Kindern, aufgrund fehlender Impfungen gegen diese Erkrankungen. In den früheren Jahren haben wir oft Kinder mit z.B. Keuchhusten behandelt, welche bei Kleinkindern zeitweise mit schweren Verläufen gekennzeichnet sind. Ebenso wurden in dieser Zeit viele Kinder mit Windpocken, Masern und Epiglottitis behandelt, aufgrund mangelnder Impfungen, mit unterschiedlichen Verläufen. In den letzten Jahren sind diese Krankheiten jedoch nicht mehr zu begegnen, sodass diese Erkrankungen als seltene Fälle bezeichnet werden. Die jungen Kollegen kennen diese Krankheiten kaum noch.

 

3. Wie verhalten Sie sich gegenüber Eltern, die ihre Kinder grundsätzlich nicht impfen lassen wollen?

Es gibt immer wieder Eltern, die aus unterschiedlichen Gründen Impfungen skeptisch gegenüber stehen. Einige Eltern wollen nur eine Teilimpfung durchführen lassen, manche wünschen einen verspäteten Impfbeginn mit der Vorstellung, dass ihre Kinder dann die Impfung besser vertragen.

Ich versuche die Eltern von der Notwendigkeit der Impfungen zu überzeugen, indem ich ihnen die Risiken und vor allem die Komplikationen der einzelnen Erkrankungen darlege und objektiv über die Wirkung und Nebenwirkung der einzelnen Impfungen aufkläre, meist mit Erfolg. Nach einem intensiven Gespräch willigen die meisten Eltern die Durchführung der Impfung ein, manche bleiben bei ihrer Zurückhaltung. Aber das Thema wird bei der nächsten Vorstellung erneut diskutiert. Hartnäckige Impfgegner sind eher selten.

 

4. Warum sind gerade Impfungen, insbesondere bei Kindern eine so wichtige Säule der Gesundheitsversorgung und präventiven Medizin?

Seit der Einführung der Impfungen sind viele Erkrankungen ausgerottet worden. Ich denke dabei z. B. an Polio, Diphterie und Tetanus, welche man in Deutschland nur noch aus der Geschichte und Büchern kennt. Als ich meine Ausbildung in meiner Heimat Syrien begann, habe ich all diese Krankheiten, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen gesehen und erlebt wie schlimm dies für die einzelnen Personen und ihre Familie sein kann. Die Impfungen stellen mit Sicherheit eine der wesentlichen Säulen der Gesundheitsversorgung in der Medizin dar. Ohne Impfungen ist das gesamte Gesundheitssystem gefährdet.

 

5. Nicht jeder Mensch kann sich impfen lassen. Bei welchen Vorerkrankungen und chronischen Erkrankungen im Kindesalter ist eine Impfung ausgeschlossen, sodass diese Kinder unbedingt auf eine ausreichende Herdenimmunität angewiesen sind?

Es gibt sehr wenige chronische Erkrankungen die eine Impfung ausschließen lassen, z. B. Multiple Sklerose, chronische entzündliche Darmerkrankungen, rheumatoide Arthritis und Immunmangelerkrankungen. Diese Erkrankungen sind jedoch im Kindesalter relativ selten und stellen keine große Gruppe in der Gesellschaft dar.

Diese Gruppe ist auf die Solidarität der der Gesellschaft angewiesen um mögliche tödliche Verläufe zu verhindern.

 

6. Die STIKO hat bisher keine generelle Empfehlung der COVID-Impfungen für Kinder unter 18 Jahren ausgesprochen, lediglich für Kinder mit Vorerkrankungen. Befürworten Sie diese Entscheidung oder sollten auch Kinder bei der Immunisierung der Bevölkerung inkludiert werden?

Über die Entscheidung der STIKO bzgl. Covid-Impfungen bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren soll man emotionslos und objektiv diskutieren.

Die STIKO stellt für uns Ärzte die Weichen wann und wie eine Impfung durchzuführen ist. Wir verlassen uns auf ihre Empfehlungen seit vielen Jahrzenten. In der Regel sind diese Beurteilungen auf der Basis von Kenntnissen, Erfahrungen und Analysen der Studien und Literatur erstellt worden. Insoweit kann ich die Entscheidung der STIKO nach ausführlicher Nutzen-Risiko-Analyse auf Basis der aktuellen Datenlage nachvollziehen.

Es besteht  die Hoffnung, dass aufgrund der Erfahrung aus anderen Ländern mit zunehmenden Daten und Fakten die STIKO zeitnah zu der Überzeugung kommen kann ihre Empfehlung zu Gunsten eine generellen Impfung für diese Altersgruppe auszusprechen.

Aktuell ist es natürlich schwierig für den einzelnen Jugendlichen bzw. deren Familie eine Entscheidung für oder gegen die Impfung zu treffen, solange keine generelle Übereinstimmung zwischen Wissenschaft (STIKO) und Politik herrscht.

Ohne die STIKO-Empfehlung ist eine generelle Impfung in Deutschland kaum vorstellbar. Ich bin aber der Meinung, dass Politik kein Druck auf sie ausüben sollte, auch wenn für eine generelle Herdenimmunität in der Zukunft die Impfung aller Altersgruppen erforderlich sein wird.

 

7. Die Impfmüdigkeit von immer mehr Menschen und Eltern ist ein großes Problem. Sehen Sie hier eine Impfpflicht als geeignete Lösung?

Es gab sowohl Impfgegner, als auch Impfmüdigkeit in unsere Bevölkerung bereits vor der Pandemie. Dies hat sich in den letzten Monaten insbesondere wegen der Covid-Impfung zugespitzt. Leider wird viel Pseudowissen in den sozialen Netzwerken und auch in den Medien gestreut, sodass eine Art Verwirrung über die Notwendigkeit der Impfung entstand. Mittlerweise sind viele „Glaubensargumente“ anstelle von wissenschaftlichen Fakten zur Diskussion gebracht worden, sodass eine objektive Beurteilung „auf der Strecke“ bleibt.

Ich halte eine Impfpflicht nicht für zielführend. Gerade bei Menschen, welche von der Notwendigkeit der Impfung nicht überzeugt sind, wird dies nur zu Gegenreaktionen und vor allem bei vielen unentschlossenen Menschen zu Ablehnung der Impfung führen. Ich bin der Meinung, dass eine bessere und ausführlichere Aufklärung der Bevölkerung viel wichtiger und zielführender ist, als eine „verordnete“ Impfpflicht.

 

8. Für eine Impfaufklärung die auch jeden erreicht, gibt es in Deutschland im Moment keine einheitliche Lösung. Wen sehen Sie hier in der Verantwortung? Staatliche Einrichtungen, die Ärzte, Bildungseinrichtungen?

Die Aufklärung über eine Impfnotwendigkeit ist eine Kernaufgabe der Ärzteschaft, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Eine Pflicht, derer wir täglich unermüdlich nachkommen. Daher liegt z. B. die Impfquote bei den typischen, lang bekannten Erkrankungen Polio, Diphterie, Tetanus, Hepatitis zum Beispiel bei Kindern über 90%. Die gleiche Aufgabe haben die Gesundheitsämter und andere medizinischen Einrichtungen. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen vorgeben.

Wir als Ärzte haben die Aufgabe die Menschen von der Notwendigkeit einer Impfung zu überzeugen, weil wir von der einen Seite über das Wissen verfügen, von der anderen Seite die Patienten uns vertrauen und nicht den Laien oder den Sozialmedien.

Ich bin sicher, dass wir am Ende auch den überwiegenden Teil der Bevölkerung von der Notwendigkeit der Impfung gegen COVID 19 überzeugen können und damit zum Erfolg der Impfkampagne beitragen werden.

 

9. Sie engagieren sich auch neben ihrer Tätigkeit als Chefarzt der Pädiatrie im DRK Krankenhaus Kirchen sehr vielfältig, zum Beispiel in der von Ihnen mitbegründeten deutsch-syrischen Gesellschaft. Gibt es einen Rat, den Sie uns als Initiative und auch unseren jungen Impfbotschaftern mitgeben wollen?

Jeder Mensch soll, nach meiner Überzeugung, neben seinem Hauptberuf auch ehrenamtliche Tätigkeiten jeglicher Art in der Gesellschaft übernehmen. Ich engagiere mich seit vielen Jahren in der Deutsch-Syrischen Gesellschaft. Diese hat ihre Aufgabe die kulturellen und gesellschaftlichen Bereiche der Völkerverständigungen zwischen den Menschen in Syrien und Deutschland zu vertiefen und zu verbessern. Man kann auch über solche Initiativen und Gesellschaften versuchen den Menschen die Botschaft der Notwendigkeit und Wichtigkeit einer Covid-Impfung zu vermitteln.

 

10. Ich lasse mich impfen, weil…

Ich lasse mich impfen, weil ich von der Schutzwirkung der Impfung überzeugt bin. Weil ich durch meinen Beruf mich und meine Patienten vor den schweren Verläufen der Erkrankungen bewahren möchte, und weil jede Impfung lebensrettend sein kann.