Interview mit Dr. med. Christian Karbe zu Impfungen im Zusammenhang mit Krebserkrankungen

 Dr. med. Christian Karbe arbeitet in einem MVZ für Hämatologie und Onkologie in Duisburg. Seine Zeit in der Medizin begann der 39-Jährige bereits 2000, wo er seinen Zivildienst im Krankenhaus begonnen hat. Zunächst wollte er klassische Philologie studieren, doch schon während des Zivildienstes wurde ihm bewusst, dass er es mit Medizin, mit Menschen versuchen wollte.

 

Seine Mutter verriet ihm nach dem Studium, dass sie erwartet hatte, er würde nach 6 Wochen aufgeben, da er in der Schule nie sonderlich fleißig gewesen war. So führte eins zum anderen. Während seines gesamten Studiums arbeitete Karbe in der Krankenpflege, als Nachtwache auf einer Station für Innere Medizin oder Chirurgie, in einem kleinen katholischen Krankenhaus. Und dennoch gelang es ihm sein Studium in Regelstudienzeit abzuschließen.

 

Schon während des Studiums waren Tumore immer das, was ihn am meisten faszinierte. Das Praktisches Jahr absolvierte er teilweise in der Hämatologie und blieb in dieser Abteilung bis kurz nach dem Ende der Facharztausbildung. Anschließend war er 3 Jahre lang als Oberarzt in einem Lehrkrankenhaus tätig, bevor ihn ein Freund aus Assistenzarztzeiten fragte, ob er mit ihm in der Niederlassung arbeiten möchte.

 

10 Fragen an Dr. med. Christian Karbe

 

1.    Wie lange liegt Ihre letzte Impfung zurück und wogegen haben Sie sich immunisieren lassen? Wie halten Sie Ihren eigenen Impfstatus auf dem laufenden? 

 Es war die jährliche Grippeschutzimpfung. Auch wenn ich selbst als 39-jähriger weniger davon profitiere ist dies als Kontaktperson vieler immunsupprimierter und komorbider Patienten wichtig und sinnvoll. Auf dem laufenden hält mich hier der Impfpass, den ich tatsächlich seit meiner Kindheit besitze und nie verloren habe (von welchen sonstigen Ausweisdokumenten kann man das behaupten?)

 

 2.    Warum liegt Ihnen das Thema Impfungen persönlich am Herzen? Gibt es eindrückliche Ereignisse aus der Klinik, Praxis oder Privatleben?

 Es gibt nachweislich wenige Dinge, welche die Lebenserwartung eindeutig und substanziell haben steigen lassen. Impfungen gehören dazu.

 

3.    Aktuell setzen Sie sich stark für eine eigene Impfung gegen SARS-CoV-2 ein, unter anderem um Ihre Patienten zu schützen. Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit COVID19 in Ihrer Praxis?

 Die Verunsicherung am Anfang der Pandemie war groß. Auch wir haben reagiert und den Betrieb heruntergefahren, d.h. die nicht unbedingt und dringlich notwendigen Konsultationen verschoben. Ich habe tatsächlich eine Woche als Back-up im Homeoffice gearbeitet und mit Patienten ausschließlich telefoniert. Dies konnten wir dann im Verlauf wieder zurücknehmen unter strengeren Hygienemaßnahmen. Aktuell testen sich manche Mitarbeiter routinemäßig auf COVID. Sollte jemand Symptome haben, ist ein Test vor Beginn der Arbeitszeit Pflicht. Erfreulicherweise hatten wir bislang keinen einzigen positiven Test innerhalb der Belegschaft. Auf Patientenseite sieht dies anders aus, einige meiner Patienten sind an einer COVID-19 Erkrankung verstorben.

Bezüglich der Impfung war es erst einmal sehr schwierig und frustrierend, einen Ansprechpartner von offizieller Seite auszumachen, welcher die Impfung des Personals in unserer Praxis ermöglicht. Nach vielen Telefonaten und E-Mails haben wir nun für die Belegschaft unserer Praxis einen ersten Impftermin.

 

 4.    Der Impfplan des Robert-Koch-Instituts zur COVID19-Impfung sieht Krebspatienten an zweiter Stelle vor und empfiehlt daher eine rasche Impfung, obwohl diese Zielgruppe in Studien wenig Berücksichtigung gefunden hat. Haben Sie Bedenken bei einer COVID19 Impfung für Patienten mit aktiver Tumorerkrankung?

 Nein, überhaupt nicht. Ich kann die Sorge der Menschen verstehen, welche die Impfung als unsicher und fremd wahrnehmen, nicht zuletzt, weil - ein Phänomen der heutigen Zeit - zu häufig irreführend und reißerisch berichtet wird. Aber die nackten Zahlen (Patienten unter onkologischer Behandlung haben eine etwa 8-fache höhere Sterblichkeit als ein nichtkrebskranker Mensch und um die 1000 Todesfälle täglich durch COVID) als auch die bisherigen Erfahrungen über Sicherheit und Wirksamkeit der Impfungen sind ein eindeutiges JA an alle an Krebs erkrankten Patienten, sich impfen zu lassen.

 

 5.    Die Chemotherapie ist eine gängige Form der Bekämpfung von vielen Tumorentitäten. Jedoch kann dadurch das Immunsystem stark beeinflusst werden. Bei Impfungen soll das Immunsystem im Sinne einer aktiven Immunisierung auf den Impfstoff reagieren. Gibt es von Ihrer Seite Bedenken hinsichtlich einer Impfung bei behandelten Patienten?

Ebenfalls überhaupt nicht. Es gibt hier auch von Seite der onkologischen Fachgesellschaften (sowohl die europäische als auch die amerikanische Fachgesellschaft haben einen Einsatz uneingeschränkt empfohlen) eine klare Stellungnahme mit einem eindeutigen JA!

 

 6.    Empfehlen Sie Ihren Patienten aktiv Impfungen? Wie treten Sie an impfkritische Patienten in Ihrer Praxis heran? Haben Sie besondere Strategien, die Sie unseren jungen Impfbotschaftern mit auf den Weg geben können?

 Ich beantworte diese Frage, gerade zwischen zwei Patientengesprächen. Eine Patientin mit einer chronischen myeloischen Leukämie, die ich bereits im Sommer als impfkritisch und „coronaskeptisch“ kennengelernt hatte, berichtete über den Verlust von zwei nahestehenden Angehörigen und fragte mich nun, ob ich eine Impfung befürworte. Es hatte eine ungeheure Tragik, dieser Moment, auch wenn ich mich – um ihretwillen – gefreut habe, dass sie ihre Meinung hat ändern können. Impfungen sind wie Anschnallgurte, man nimmt sie gar nicht mehr wahr, aber es ist unglaublich wichtig, dass es sie gibt und noch wichtiger, dass man sie nutzt.

 

 7.    Vor Ihrer Tätigkeit in Ihrer Praxis für Onkologie waren Sie einige Jahre in verschiedenen Universitätskliniken tätig. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Impfbereitschaft über die Jahre verändert hat? Inwiefern?

 Das fällt mir schwer zu beantworten, da Impfungen – als ich in den Kliniken tätig war - nur eine Randnotiz im klinischen Alltag darstellten.

 

 8.    Impfen und Krebs-Erkrankungen: Als großes Aushängeschild gilt hier die Entdeckung der Humanen Papillomviren (HPV) und ihre Rolle als Auslöser von Tumorerkrankungen, wofür Prof. Harald zur Hausen einen Nobelpreis erhielt. Seit einigen Jahren gibt es nun glücklicherweise eine Impfung gegen die Viren („Gebärmutterhalskrebsimpfung“). Können wir darauf hoffen auch in Zukunft Krebserkrankungen durch präventive Impfung zu stoppen?

 Es gab bereits seit Jahrzehnten und gibt auch derzeit diesbezüglich sehr viele Versuche, eine Vakzinierung als Baustein der Tumortherapie zu etablieren. Im Bereich der Behandlung des sog. malignen Melanoms („schwarzen Hautkrebs“) gibt es vielversprechende Ergebnisse mit eben jener Technik (mRNA-Impfung), die derzeit bei COVID angewandt wird. Ein nüchtern betrachtet positiver Nebeneffekt der Pandemie: die immunologische Forschung hat durch den Fokus auf Impfungen einen unglaublichen Schub erhalten. Davon werden wir in der Medizin nicht erst wegen der COVID-Impfungen profitieren.

 

 9.    Wenn Sie Gesundheitsminister wären, was hätten Sie seit Januar 2020 anders gelöst? 

Ein bisschen ist es ja wie bei der Fußball-WM. Vor und während der WM gibt es plötzlich 80 Mio. Bundestrainer/Gesundheitsminister, welche den Fallrückzieher/die FFP2-Maske erfunden haben und alles besser wissen und schon immer gewusst haben. Da möchte ich nicht mitmachen. Bezüglich einer Bewertung der Leistung der Regierung kann man zufrieden sein. Auch ein Vergleich mit dem Mannschaftssport: der Verlauf der Pandemie wurde und wird nicht im Bundeskanzleramt entschieden, sondern in den einzelnen Entscheidungen von jedem von uns, wen wir (nicht) treffen.

 Einzig zur Impfpriorisierung möchte ich mich äußern. Dass wir zu Hause lebende 87-Jährige (dies meine ich nicht für die Alten- und Pflegeheime), welche in den meisten Fällen zu Hause bleiben können und damit ein sehr niedriges Infektionsrisiko haben, zeitlich vor der 58jährigen Supermarktkassiererin impfen lassen, ist schon harter Tobak. Auch die niedergelassenen Kollegen, Hausärzte und Fachärzte, wurden noch nicht geimpft, wohingegen in den Krankenhäusern die Sekretärin des Chefarztes und auch der Hausmeister geimpft wurden. Was war doch die Rede von systemrelevanten Berufen und was haben die Menschen auf den Balkonen gestanden und geklatscht, das soll der Dank dafür sein? Hier drückt sich meines Erachtens wieder aus, dass die deutsche Politik vor allem eine Politik für ältere Menschen macht. Hier sehe ich schwarz für die Akzeptanz der Demokratie und im Verlauf auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

 

 10. Ich lass mich impfen, weil ...

 …ich im Winter ja auch nicht VOR dem Streufahrzeug auf der winterlich verschneiden Landstraße herfahre. Abseits der Ratio ist es ein Akt der Solidarität, den anderen Mitmenschen gegenüber, da ich mit hoher Voraussicht nach einer Impfung nicht mehr Vektor und damit Treiber der Infektion und Pandemie sein kann.